Gute Arbeit! Mit Freude wirtschaften: Lena Krapiwnikow, YUU Shop, Berlin

„Ich bin nicht so kompromißbereit.“

Ruhig schaut sie auf, von ihrer Arbeit, irgendeiner wichtigen Kleinigkeit, die sie gerade in ihrem Laden konzentriert verrichtet. Lena Krapiwnikow macht nicht den Eindruck, als würde sie hier auf Kunden warten. Sie wirkt gerade und wer ihr Geschäft betritt, wird bald spüren, das alles hier, im YUU Shop in der Steinstrasse in Berlin Mitte, irgendwann in den letzten 6 Jahren von Krapiwnikow erwirkt wurde. Das Geschäft ist in jedem Detail ihr ganz eigenes Werk, ein direkter Ausdruck ihrer klaren, mit viel Bedacht und einer Tasse grünem Tee ausgeübten Entscheidungskraft.

„Fass das mal an, zieh das mal an“, sagt Lena Krapiwnikow oft zu ihren Kunden – dann ist sie präsent, ihre Leidenschaft, ihre Begeisterung für, wie sie es nennt, „schöne Mode“. Die Idee einen eigenen Laden zu eröffnen, ist für sie aus dieser Leidenschaft hervorgegangen – und aus der Tatsache, dass Stücke ihrer Lieblingsdesigner für sie während des Studiums einfach unerschwinglich waren. „Das hat mich geärgert“, sagt sie sehr langsam.

„Ich vertraue auf meine Fähigkeiten.“

Damals war projektbezogenes Arbeiten als Stylistin oder Kostümbildnerin neben dem Studium für sie in Ordnung, stellte aber keine Perspektive dar, es erschien ihr genauso wenig verlockend wie eine Designerstelle in der Modeindustrie. Ihr wurde klar, dass sie ihre Idee von Mode mit einem festen, in stärkerem Masse selbstbestimmten Ort verbinden wollte. „Also ein Laden!“ Aber wie? Ein Geschäft mit aktuellen Teilen großartiger Designer wie Dries van Noten oder Ann Demeulemeester zu eröffnen, erschien ihr als ein viel zu großes finanzielles Wagnis, gute Secondhand Fashion fand man aber schon überall.

„Irgendwann kam mir die Idee, dass es etwas dazwischen gibt“: Nämlich ihr eigenes Konzept, tolle, neue, ungetragene Teile aus den besten Vorjahreskollektionen einzukaufen und in einem in seiner Form einzigartigen Laden zu nachvollziehbaren Preisen einer besonderen Kundschaft zugänglich zu machen. Akribisch begann sie ihren Plan immer wieder zu durchdenken, rechnete die Sache gründlich für sich durch. Am Ende kam eine Summe heraus, die Krapiwnikow als „durchschnittlichen Tagesumsatz“ in ihrem Geschäft benötigen würde: „Ich hab mir gedacht: Das ist realistisch.“

„Persönlichkeit und Identität. Selber als Mensch für etwas stehen.“

Heute, wenn sie im Laden arbeitet, denkt sie noch manchmal daran, wie wichtig es damals war, mit aller gebotenen Umsicht und Beharrlichkeit eine wirklich richtige und von Anfang an konsequente Entscheidung getroffen zu haben. Zu jeder Zeit und in allen Dingen kann sie nun ihrer eigenen Auffassung folgen. Das ist sehr wertvoll. Sie kann jetzt einfach immer das tun, was für sie das Richtige ist. Und sie hat einen Weg gefunden, mit Mode zu arbeiten, die ihr und auch ihren Kunden wirklich etwas bedeutet: „Bewusstsein, Qualität. In einer guten Hose steckt alles drin. Was ich hier verkaufe, stellt für mich das dar, was mich an Mode interessiert: Selber als Mensch für etwas stehen und Mode nutzen, um diese Haltung zum Ausdruck zu bringen.“

Das Eigene und Individuelle an Lenas Art, ein Geschäft zu betreiben hat den Ort in der Steinstrasse inzwischen vollständig durchdrungen. Kunden kommen manchmal auch vorbei, ohne etwas kaufen zu wollen. Einfach nur, um eine Weile da zu sein. Es herrscht eine ganz unvergleichliche Balance aus Nähe und Distanz. „Meine Kunden kommen wegen des Windes, der hier weht“, sagt Krapiwnikow und lächelt, denn: „das sind auch ganz oft Menschen, die ich mag und wirklich interessant finde. Die haben wie ich einfach Lust auf Gutes. Mode sieht man ihnen gar nicht an.“

„Arbeit oder Familie? Beides!“

Zwei Jahre nach der Eröffnung des YUU Shop wurde Krapiwnikow Mutter einer Tochter. War die Arbeit vorher ihr Lebensmittelpunkt gewesen, so stand nun die Familie noch mehr im Fokus ihrer Aufmerksamkeit. „Jetzt mit Kind hat es sich tatsächlich verändert“, versucht sie zu beschreiben. „Ich arbeite immer noch sehr gerne und mache das auch, wenn ich es mache, sehr leidenschaftlich – aber ich arbeite nicht mehr so viel. „Nächste Woche passt mir der Dienstag, Mittwoch – und der Freitag. Ich bin total glücklich, beides zu haben. Ich freue mich wahnsinnig darauf, hierher kommen zu können und dann, nach der Arbeit, auch wieder nach hause zu gehen. Meine Arbeit bedeutet mir, mich ausleben zu können, zu schauen, zu gestalten, kreativ sein zu dürfen. Was möchte ich heute hier machen? Was wollen die Leute gern haben? Das zu sehen, darauf zu reagieren, das ist es. Und dann kommt jemand rein und freut sich, hier bei mir eine tolle Hose für sich zu finden.“

Ihre Familie war für Krapiwnikow schon immer eine feste Wurzel. Aufgewachsen ist sie als jüngstes von 3 Geschwistern. Ihre Kindheit, ihre Erziehung bezeichnet sie heute als ihre „wichtigste Ressource“. „Die Möglichkeit mich als Kind zu entfalten, mich ganz genau kennen zu lernen, hat mich bis heute geprägt. Ich durfte alles ausprobieren, meine Eltern standen immer hinter mir und dem was ich gemacht habe. Wir sind sehr eng und geben uns gegenseitig Sicherheit“, erzählt sie und beschreibt ihre Kindheit als eine beschützte Zeit in grosser Vielfalt und Freiheit. Auch ihre Zeit auf der Waldorfschule nennt sie heute als Quelle ihres gestalterischen und unternehmerischen Mutes. „Dieses freie Entwickeln, verschiedenste Dinge selber zu versuchen, in der Freizeit immer zu tun, wozu man Lust hat – das hilft unheimlich dabei, sich kennen zu lernen und irgendwann zu wissen: Ich muss mich nicht an den Mustern anderer orientieren. Das bin ich, das will ich.“

„Reich werde ich hier nicht.“

Krapiwnikow lächelt schon wieder. Sie ist glücklich darüber, sich selbst als erfolgreich zu empfinden: „Erfolgreich in dem Sinne, dass ich etwas tue, das mich selbst überzeugt – und auch andere.

Manchmal“, gesteht sie, „muss ich mich ein wenig kneifen, mir immer mal wieder bewußt machen, was für ein tolles Gefühl es ist, zu sehen, was ich hier habe. Wie frei, lustvoll und selbstbestimmt ich mit diesem Geschäft den Lebensunterhalt für meine Familie verdienen kann – und dass ich immer, bei der kleinsten Kleinigkeit sagen kann: Das hier gefällt mir nicht, das ändere ich mal.“

1. Mai 2019

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